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Schwarzkopf und Fischer-Dieskau

Ein anderer- sehr persönlicher - Nachruf zum Tode einer Ausnahmekünstlerin

 

von Cornelius Hauptmann

 

 

„Um Gottes Willen, Sie sind wohl verrückt geworden!“ Dies waren die Worte Elisabeth Schwarzkopfs bei meinem letzten Besuch  in Schruns auf die Frage, was ich ihr als Honorar für den Gesangsunterricht schulde. Ein paar Monate vor ihrem 90. Geburtstag im letzten Dezember hatte ich nochmals die Chance, an zwei Tagen jeweils vier Stunden am Stück von ihr wahrlich in die Mangel genommen zu werden. Am Ende meiner stimmlichen Kräfte, nach facettenreicher Beleuchtung interpretatorischer Fragen und Optionen, nach strenger Kritik an stimmlichen Unebenheiten, meinte sie lakonisch „Schade dass wir aufhören, ich kann noch“. Ziemlich unverwüstlich, die alte Dame. Obwohl gesundheitlich schwer angeschlagen nach zahlreichen Stürzen, nach vielen Krankenhausaufenthalten, trotz Problemen mit den Augen und dem Kurzzeitgedächtnis, wirkte sie frisch und quicklebendig und strahlte  mich mit ihren leuchtend blauen Augen freundlich an. „Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen das alles sagen musste. Aber Sie singen ja trotzdem fabelhaft.“

 

Ich kenne diese Augen gut. Nach fast 25 Jahren Unterricht und künstlerischer Beratung durch Elisabeth Schwarzkopf habe ich viele Facetten dieses Blaus kennen gelernt. Als Stipendiat der Herbert-von-Karajan-Stiftung begegnete ich ihr Anfang der 80er- Jahre zum ersten Mal in Salzburg. Sie hatte wohl einen Narren an mir gefressen, so lud sie mich immer wieder zu weiteren Meisterkursen in Stuttgart, Salzburg und Frankfurt  und zu sich nach Hause ein. Es werden wohl an die 7 Meisterkurse gewesen sein, dazu unzählige Besuche in ihrer Wohnung in Zumikon bei Zürich, danach in ihrem neuen Heim in Schruns. Geld wollte sie niemals („schließlich macht es mir Spaß mit Ihnen“). Aber Blumen, Wein oder Kaffee wurden immer mitgebracht. Blumen mochte sie, ganz besonders Tulpen. In den letzten Jahren hingen an ihren Wänden zahllose Tulpenfotos, die sie selbst gemacht hatte. Leuchtendes Blau ihrer Augen beim Schwärmen von diesen Blumen.

 

Andere Blautöne in ihrem Blick bei so manchen Bemühungen um junge Sängerinnen und Sänger. Dieses Blau konnte eine Gletscherfarbe annehmen, wenn die Studierenden schlecht vorbereitet waren oder sich gar auf Widerspruch oder Bockigkeit einzulassen wagten. Eine Studentin aus Wien, die zu bemerken wagte, sie sei am Wiener Opernstudio eine der Besten und werde nun hier von Frau Schwarzkopf verunsichert, erntete schallendes Lachen: „Was, Sie sind eine der Besten? Wie müssen dann die Anderen klingen…“. Diese Studentin war vom kommenden Tag an nicht mehr zu sehen. Gerne konnte Elisabeth Schwarzkopf auch Fragen nach der bisherigen Ausbildung stellen und diese in Zweifel ziehen. „Kindchen, so können Sie in der Küche oder in der Badewanne singen, aber nicht bei mir.“ Gnadenloses Gletscherblau. Doch wer es letztendlich schaffte, seine Unsicherheiten zu überwinden, wer verstand, was die Meisterin meinte und ihre Vorschläge und Anregungen stimmlich umsetzen konnte, der durfte –wenn auch selten – warmes Veilchenblau ernten: „Fabelhaft. Genauso geht das.“

 

Sie wusste sehr wohl, dass ihr pädagogischer Stil nicht immer auf Gegenliebe stieß. Ihre Schülerinnen und Schüler werden davon ein Lied singen können. Ihre Strenge und Unerbittlichkeit („Einer muss schließlich die Wahrheit sagen“), ihr fast fanatischer Kampf um ein perfektes Legato, ihre Pingeligkeit um äußerste Präzision bei Musik und Text, um Genauigkeit („Steht das etwa in den Noten?“) und Erfordernisse der stimmlichen Farbgebung  resultierten aus allerhöchstem Respekt vor Dichter und Komponist. „Musik ist eine Heilige Kunst“ zitierte sie gerne aus Strauss` Oper Ariadne auf  Naxos. Nur Wenige konnten hinter ihren öffentlichen Auftritten als Grande Dame, als Gesangsstar des letzten Jahrhunderts, ihre Verletzlichkeit und fast kindliche Fähigkeit des Staunens oder Sich-Anrühren-Lassens wahrnehmen. Sie geriet ziemlich aus der Fassung ob diverser Anschuldigungen und Unterstellungen seitens gewisser Presseberichte über ihre angebliche NS-Vergangenheit und deren Profite für ihre Karriere. Fast hilflos berichtete sie mir, dass sie seinerzeit nur auf Anraten ihres Vaters in die NSDAP eingetreten sei, weil dieser sich als Schuldirektor geweigert hatte, in seiner Turnhalle eine NSDAP-Veranstaltung zuzulassen und daraufhin seinen Job verloren habe. Sie wusste auch nicht, was sie dafür konnte, dass gewisse NS-Größen verrückt nach ihrem Gesang waren und sie förderten. Sie habe schließlich nur gesungen. Massiv litt sie unter teilweise hämischen Pressekommentaren.

 

Ich fragte sie einmal – im Blick das Foto ihres Zigarre rauchenden Ehemannes Walter Legge -, wie es denn gewesen sei, mit solch einem mächtigen Musikproduzenten verheiratet gewesen zu sein. Dazu schwieg sie die Ewigkeit von 30 Sekunden und bemerkte dann mit leiser Stimme, dass ich sie so etwas nicht fragen solle. Ich hatte eine Antwort.

 

Nicht nur, dass Elisabeth Schwarzkopf Tausende von Menschen mit ihrer Gesangskunst anrührte. Auch sie selbst war emotional sehr zugänglich, so die Bedingungen stimmten: Meisterkurs im Mozarteum Salzburg, ich habe Brahms` „Vier ernste Gesänge“ mitgebracht und beginne mit dem ersten Lied. Frau Schwarzkopf sagt nichts. Normalerweise hätte sie mich schon nach den ersten drei Tönen unterbrochen. Ich singe weiter, etwas ratlos, den ganzen Zyklus, fast zwanzig Minuten, sie schaut schweigend zu Boden. Das letzte Lied verklingt. Totenstille im Saal mit etwa 30 Zuhörern. Warum sagt sie nichts? Frau Schwarzkopf winkt mich zu sich, den Kopf gesenkt. Ich beuge mich zu ihr herunter, sie nimmt meine Hände: „Danke, das ist mir lange nicht mehr passiert“. Frau Schwarzkopf weint. Dunkles Blau eines Bergsees.

 

Sie muss auch sehr ängstlich gewesen sein. Ihr Haus in Zürich war alarmgesichert wie eine Bank, Drähte im Garten und an den Fenstern, dazu Überwachungskameras. Ihre Wohnung in Schruns war total vergittert, was seltsame Gefühle auslöste. „Totentanz“ von Goethe, in der Vertonung von Carl Loewe, wollte sie nicht hören, es sei zu schrecklich. Sie müsse da an die Leichen denken, die sie nach dem Krieg in Berlin von Balkonen entfernen musste.

 

Den strengen Maßstab, mit dem sie ihre Schüler konfrontierte, legte sie auch an sich selbst an. So bemerkte sie einmal, dass ein Großteil ihrer Aufnahmen „Mist“ sei. Davon ausgenommen Lieder und Opern von Richard Strauss, Mozart, Brahms und Wolf und noch so manches, aber „all das andere, oh Gott…“. Sie und ihre Sängergeneration habe vieles grundsätzlich falsch gemacht. So besonders die rollenden „R“ bei Nachsilben. Es hieße nicht „Das Wasserrr rauscht, das Wasserrr schwoll, ein Fischerrr saß daran…“, sondern die Aussprache solle beim Singen der eines guten Schauspielers entsprechen. Die täten auch keine Nachsilben rollen. Begeistert war sie bei ihrer 90. Geburtstagsfeier im Dezember 2005 in Hohenems von der Darbietung von Wolf-Liedern durch den Bariton Matthias Goerne, denn der habe es kapiert. Blaues Augenleuchten einer 20-Jährigen.

 

Zahlreichen berühmten Kollegen hat sie die Stimme poliert: Mitsuko Shirai, Matthias Goerne, Ulrike Sonntag, Thomas Hampson, Uwe Heilmann, Renée Fleming und anderen. Eine ihrer letzten Schülerinnen vor ein paar Wochen noch war Marret Winger, eine viel versprechende junge Sopranistin aus Hamburg.

 

Nun wird also mein Septembertermin mit Frau Schwarzkopf nicht mehr stattfinden. Wir Schülerinnen und Schüler werden künftig selbst an ein perfektes Legato denken müssen, an genaues Lesen des Notentextes und besonders an eine künstlerische Authentizität. Und hören wir uns ihre Platten an.

 

„…daran sind, Herrin, Deine Augen schuld“ (Wolf, Michelangelo-Lieder).

 

Stuttgart, August 2006

 

 

(Veröffentlicht in „Neue Musikzeitung“ und im Jahresprogramm der Stuttgarter Hugo-Wolf -   Akademie)

 





Another – very personal – obituary on the death of an exceptional artist

 

by Cornelius Hauptmann

 

 

“For the love of God, you must have gone mad!”  This was the response I received from Elisabeth Schwarzkopf on the occasion of my last visit to Schruns, when I asked her what fee I owed her for the singing lessons.  It was a few months before her 90th birthday last December when I had the opportunity quite literally to be put through the mill by her once again: two days, each with a four-hour session.  At the end of my vocal resources, after the multifaceted illumination of various interpretive questions and options, after severe criticisms of vocal unevenness, she said laconically: “Too bad we’re stopping; I could still continue.”  Pretty indestructible, the old lady.  Despite her severely compromised health after numerous falls and many hospitalisations, despite problems with her vision and short-term memory, she appeared brisk and perky.  Her bright blue eyes beamed genially upon me.  “I do apologise for having to tell you all that; you really sing quite marvellously.”

 

I know these eyes well.  After nearly 25 years of working vocally and artistically with Elisabeth Schwarzkopf, I had learned to decipher the meanings of their various shades of blue.  I met her for the first time in Salzburg in the early 80s when I held a fellowship through the Herbert-von-Karajan-Stiftung.  She must have taken a shine to me, for time and time again she invited me to attend other master classes – in Stuttgart, Salzburg, Frankfurt and at her home.  There must have been at least seven master classes, and numerous visits to her house in Zumikon near Zurich, and later her new home in Schruns.  She never wanted money (“After all, I have fun working with you”).  But I always brought her flowers, wine, or coffee.  She liked flowers, especially tulips.  In these last years her walls were covered with countless photos of tulips that she had taken herself.  Her eyes a radiant blue as she rhapsodised about these flowers.

 

Her endeavours with young singers called forth other shades of blue in her gaze.  When students were ill prepared or had the nerve to become contradictory or stubborn, this blue could become positively glacial.  A student from Vienna, who dared to remark that she was one of the best singers in the Vienna Opera School and did not appreciate being discomfited here, was rewarded with ringing laughter: “What?  You’re one of the best?  Then what must the others sound like…”  The next day, this student had departed and was not seen during the remainder of the class.  Elisabeth Schwarzkopf also liked to ask about the singer’s prior training and to express her misgivings about it.  “Little one, you may sing like that in the kitchen or in the bathtub, but not for me.”  Merciless glacial blue.  But those who finally managed to overcome their insecurities, those who understood what the mistress of her craft meant and could implement her suggestions vocally, they were rewarded – albeit rarely – with a warm violet blue: “Splendid.  That’s exactly how it should be.”

 

She knew quite well that her pedagogical style was not always appreciated.  Her students could tell you a thing or two about that.  Her severity and her implacability (“In the end someone has to tell it like it is”), her almost fanatical campaign for a perfect legato, her nitpicking insistence on utter precision in music and text, on accuracy (“Is that what it says in the score?”) and her demands for rich vocal colours, all came from her utmost respect for the poet and composer.  She loved to cite the phrase “Music is a holy art” from Strauss’s opera Ariadne auf Naxos.  Only a few people were able to see past her public appearances as the grande dame, as the singing star of the last century, to her vulnerability and her almost childlike capacity for wonder and for allowing herself to be moved.  She was extremely shaken by the various accusations and insinuations in certain media reports about her alleged Nazi past and its benefits for her career.  She appeared almost helpless as she told me that she had only joined the Party upon the advice of her father.  Advice he gave because he himself had lost his job as school principal, when he had refused the use of his school’s gymnasium for a Nazi event.  She was also at a loss to understand how it could be her fault that certain Nazi bigwigs had been crazy about her singing and had assisted her.  All she ever did was sing.  She suffered profoundly as a result of the sometimes quite malicious comments in the press.

 

Once, as I was looking at a photo of her cigar-smoking husband Walter Legge, I asked what it was like to have been married to such a powerful music producer.  She was silent for an eternity of 30 seconds and then said softly that I should not ask her something like that.  I had my answer.

 

It was not only that Elisabeth Schwarzkopf moved thousands of people through her singing. Under the right circumstances, she herself was also extremely responsive emotionally.  I had brought the “Vier ernste Gesänge” (Four Serious Songs) by Brahms to a master class in the Salzburg Mozarteum.  I begin singing the first of them.  Frau Schwarzkopf says nothing.  Normally she would have stopped me already after the first three notes.  I sing on, somewhat perplexed, all the way through the cycle, almost 20 minutes, while she gazes silently at the floor.  The notes of the last song fade away.  Deathly silence in the hall with its audience of 30.  Why isn’t she saying anything?  Frau Schwarzkopf, still with bowed head, beckons me to approach her.  I lean down and she takes my hands: “Thank you.  That hasn’t happened to me for a long time.”  Frau Schwarzkopf weeps.  The dark blue of a mountain lake.

 

She must have been very fearful as well.  Her house in Zurich had the alarm system of a bank: wires in the garden and on the windows, complete with surveillance cameras.  Her apartment in Schruns was completely locked and barred, which made one feel quite peculiar.  Goethe’s “Totentanz,” as set by Carl Loewe, was something she did not want to hear; she found it too horrible.  It always made her think of the corpses she had had to remove from her balcony during the war in Berlin.

 

The rigorous standards with which she confronted her students were also applied to herself.  Thus she once remarked that the bulk of her recordings were “rubbish”.  The exceptions being the Lieder and operas of Richard Strauss, Mozart, Brahms and Wolf, and a few others, but „all the rest, oh God…“  So many things she and the rest of her generation of singers did were fundamentally wrong.  In particular the rolled r’s on the final syllables.  It is not correct to sing: “Das Wasserrr rauscht, das Wasserrr schwoll, ein Fischerrr saß daran… (The waterrr rushes, the waterrr swells, a fisherrr sat alongside…), rather the sung diction must be that of a good actor.  Actors do not do rolled r’s on final syllables.  At her 90th birthday party in December 2005, she was delighted by the baritone Matthias Goerne’s performances of Wolf’s Lieder; he had got it right.  The shining blue eyes of a 20-year-old.

 

Many famous singers had their voices polished by her: Mitsuko Shirai, Matthias Goerne, Ulrike Sonntag, Thomas Hampson, Uwe Heilmann, Renée Fleming and others.  One of Schwarzkopf’s last students, who still worked with her just a few weeks before her death, was Marret Winger, a promising young soprano from Hamburg.

 

My planned September lesson with Frau Schwarzkopf will not take place now.  In future, we, her students, will have to think by ourselves about a perfect legato, about an exact reading of the score, and especially about artistic authenticity.  And let us listen to her recordings.

 

„…daran sind, Herrin, Deine Augen schuld“ (Wolf, Michelangelo-Lieder).

"…that, mistress, is owing to your eyes" (Wolf, Michelangelo-Lieder).

 

 

Stuttgart, August 2006

 

 

(originally published in the Neue Musikzeitung and in the annual schedule of concerts of the Internationale Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart)

 

translated by Sharon Krebs (November 2008)

 

 Nachruf Dietrich Fischer-Dieskau

für die Internationale Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart


„Psst!“

Sehr persönliche Gedanken zum Tode Dietrich Fischer-Dieskaus


„Psst!“. Wir Kinder mussten schweigen. Da sang immer mal wieder ein wohl berühmter Mann im Radio. Das war Anfang der 1960-er Jahre. Da war ich 10 Jahre alt. Und der Mann hieß Fischer-Dieskau. Unsere Eltern hörten so fasziniert zu, dass wir es nicht wagten, irgendwie zu stören. Da sprach wohl Gott? Lieder sang er. Lieder von Schubert, Schumann oder Wolf. Wir hörten uns das halt  an. Manchmal sang auch ein Herr Prey. Oder eine Frau Schwarzkopf. Oder ein Herr Wunderlich. „Psst!“ gab es aber nur bei Herrn Fischer-Dieskau. Damals verstanden wir das nicht.


Und 1980 stehe ich vor diesem Mann in Berlin. Als Gesangstudierender weiß ich nun sehr wohl, wer dieser Herr ist. Ausgewählt aus einer Vielzahl von Bewerbern fühle ich mich extrem privilegiert, an seinem ersten Meisterkurs teilnehmen zu dürfen. Wir arbeiten an Schuberts „Grenzen der Menschheit“ und „Prometheus“. Wenn es um die Interpretation, die Farben und Zusammenhänge des großen Ganzen geht, spricht Fischer-Dieskau zu mir und den Anderen nachdrücklich und öffentlich. Wenn es aber um persönliche Schwächen stimmlicher Art geht, nimmt mich Fischer-Dieskau beiseite und spricht diskret mit mir alleine. Er macht dies mit allen so. Da wird niemand öffentlich vorgeführt. Und es passiert, dass Fischer-Dieskau mir eine Passage – einen Meter entfernt vor mir stehend – vorsingt. Da bin ich mir dann nicht mehr sicher, ob ich nicht doch lieber meine Noten einpacken und mich diskret entfernen sollte. „Psst!“ höre ich in mir.


Hunderte Lieder, gesungen von Fischer-Dieskau, stehen in meinen CD-Regalen. Fast alle habe ich angehört, mehrmals. Über deren Qualitäten muss ich hier nichts schreiben. So werde ich das nie singen können, das muss ich einfach akzeptieren. Meinen eigenen Weg musste ich suchen. Und dann, Anfang der 1990er Jahre, erhalte ich einen Brief von Fischer-Dieskau, in welchem er mein Singen in Bachs Matthäuspassion unter J.E. Gardiner lobt. Der Brief endet „… zu so etwas werde ich ja nun nicht mehr eingeladen. Herzlichst, Ihr alter D. F.– D.“. Das macht mich dann doch ziemlich fassungslos.


So manche Begegnung hatten wir seitdem, bei seinen letzten Liederabenden, bei zahllosen Meisterkursen für die Internationale Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart, der er als Mitglied des Kuratoriums sehr verbunden war, und bei der Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille. Und so manche Bereicherung konnte ich durch persönliche künstlerische Ratschläge erfahren. In einem Gespräch vor einem Jahr sagte mir Fischer-Dieskau, dass er die Bemühungen um das Singen mit Kindern nachdrücklich unterstütze, und er stellte uns für das „Liederprojekt“ des SWR und des Carus-Verlages sein Volkslied „Der Gang zum Liebchen“ von Brahms in der Aufnahme von 1978 zur Verfügung.


Ich habe Dietrich Fischer-Dieskau täglich vor Augen: an der Wand meines Arbeitszimmers hängt ein von ihm gezeichnetes Portrait von mir. Und in den Ohren habe ich „Schlummert ein, ihr matten Augen“, BWV  82, Dietrich Fischer-Dieskau, Bariton, am Pult Karl Ristenpart. Aufgenommen eine Woche nach meiner Geburt 1951. „Psst!“. Und  danke von Herzen!


Cornelius Hauptmann


Konzert- und Opernsänger, Mitglied des Vorstandes der IHWA


Stuttgart, 19. 5. 2012

 

 

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